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Die Capra Grigia-Ziege als Vorreiterin

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Publiziert in der Bauern Zeitung am 9. April 2024


Mit dem neuen Tierzuchtfördersystem des Bundes werden ab 2026 Punktierungen, wie sie bis anhin bei den Ziegen und Schafen durchgeführt wurden, nicht mehr finanziell unterstützt. Neu muss dafür eine Lineare Beschreibung (LBE) durchgeführt und im Zuchtprogramm berücksichtigt werden. Bei der Ziegenrasse Capra Grigia wurde bereits im Jahr 2013 die LBE eingeführt. Die Zuchtleiterin Martina Federer erklärt der BauernZeitung, wie sie dabei vorgegangen ist.


Die Rasse Capra Grigia setzt auf die LBE der Tiere. Weshalb wurde dieser Weg eingeschlagen?

Martina Federer: Als ich 2012 erstmals mit der Beurteilung der Capra Grigia in Kontakt kam, wurde mir schnell klar, dass sich die sehr knappe und einzig auf einige Rassemerkmale ausgerichtete Beurteilungskarte aus diversen Gründen nicht sehr gut eignet. Zum einen konnten die Vereinsexperten der Capra Grigia aufgrund der viel zu tiefen Tierzahlen und der Verteilung der Halter über die ganze Schweiz nie die Erfahrung vorweisen wie andere Viehzuchtexperten. Zudem hatten viele Züchter vorgängig keine grosse Zuchterfahrung. Daneben wurde mit der Beurteilungskarte das Augenmerk einzig auf die Rassenmerkmale gerichtet. Die übrigen Blöcke wie Format, Fundament, Euter und Zitzen verkamen zur Nebensächlichkeit. Als Tierärztin kommen einem bei einer solchen Beurteilung sehr schnell die vielen angezüchteten Probleme in den Sinn.


Welche Ziele verfolgten Sie mit der Überarbeitung der Beurteilung?

Ich wollte den Experten eine gute Checkliste zur Hand geben. Die Beurteilung sollte auch für unerfahrene Züchter klar sein, sodass diese die Stärken und Schwächen ihrer Tiere einfach erkennen können. Bei der kleinen Population von damals knapp 400 Tieren sollte vor allem bei den Extremen angesetzt werden, die auch das Tierwohl tangieren. Mit der Überarbeitung wurde kein schneller Zuchtfortschritt, sondern die Reduzierung extremer Ausprägungen in allen Positionen angestrebt.


Seit wann wird das so gemacht und wie beurteilen Sie den Erfolg des Systems unter Berücksichtigung des Zeithorizonts?

Im Frühling 2013 wurden die ersten Experten geschult und die Beurteilung ganz auf LBE umgestellt. Heute sehen wir kaum noch so schlechte Euter wie vor 25 Jahren und kaum noch Tiere mit grossen Fehlern in den Rassemerkmalen. Diesen Fortschritt führe ich vor allem auf das gewachsene Bewusstsein der Züchter und die strengeren Kriterien für Bockeltern zurück. Die Selektion erfolgt vor allem über die Böcke. Viele Ziegen bleiben in der Zucht, auch wenn dem Züchter deren Schwachstellen bewusst sind. Bei den meisten Züchtern sind die Tiere nicht nur Zuchttiere, sondern haben auch noch einen emotionalen Wert.


Wie wurde das System zur LBE konkret erarbeitet? Es handelt sich ja um eine Pionierarbeit.

Dass eine Person in Freiwilligenarbeit das Rad der Tierbeurteilung nicht neu erfinden kann, war von Anfang an klar. Ich habe mich nach bereits Vorhandenem umgeschaut. Zuerst bei den Ziegen, da war kaum etwas vorhanden. Bei den Rindern und den Neuweltkameliden gab es jedoch sehr gute Beispiele, die mir als Vorlage dienten. Um das System von Anfang an in einer kleinen Population einsetzen zu können, nahm ich noch keine Umrechnung in Punkte vor. Bei den Zuchtausschlussgründen orientierte ich mich daran, ab wann die Ausprägung des Merkmals das Tierwohl beeinträchtigt.


Was hat sich seit Einführung der LBE am System geändert?

An den Zuchtausschlussgründen hat sich bis heute nichts geändert. Strenger geworden sind einzig die Anforderungen an Bockeltern. Die Selektion muss bis heute immer im Verhältnis zur genetischen Breite stehen und darf keine genetischen Flaschenhälse verursachen. Seit ungefähr zwei Jahren hätten wir die Anzahl LBE-Daten, um auch mit einem Punktesystem die Selektion vorzunehmen. Fast gleichzeitig kam vom Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) die Information, dass ab 2026 für alle Merkmale eine Zuchtwertschätzung gemacht werden muss und deren Erhebung und Auswertung mit Tierzuchtfördergeldern unterstützt wird. Damit die Züchter nicht zwei Umstellungen innerhalb kurzer Zeit mitmachen müssen, werden die Umstellungen kombiniert auf 2026 gemacht.

 

Könnte das System analog auch für andere Rassen Verwendung finden?

Diese Frage müsste eigentlich von den Verantwortlichen der anderen Rassen beantwortet werden. Aus meiner Sicht könnte es gleich gehandhabt werden wie die LBE bei den Mutterkühen. Man könnte dasselbe Schema verwenden, jedoch nicht bei jeder Rasse alle Positionen anschauen oder gleich einstufen. Im Block Rassemerkmale müssten sicherlich Anpassungen gemacht werden. Unser Schema wurde nur für die Capra Grigia entwickelt und berücksichtigt beispielsweise besondere Farbverteilungen oder unterschiedliche Haarlängen nicht, respektive nur als Fehler.


Wie steht es um die Akzeptanz in Züchterkreisen?

Die Akzeptanz war von Anfang an sehr gut. Nur ganz wenige Züchter haben sich kritisch geäussert. Viele haben sich erst mit diesem System dafür interessiert, wie ihre Tiere im Vergleich zum Zuchtziel oder zum Durchschnitt der aktuellen Population stehen. Genau dafür ist auf der LBE-Karte auch das Zuchtziel markiert und die Bereiche, in denen Tiere als Bockeltern oder generell von der Zucht ausgeschlossen werden. So sieht der Züchter genau, zum Beispiel warum eine seiner Ziegen keine Bockmutter ist oder wo in seinem Bestand die Stärken und Schwächen liegen.


Wie werden die Experten gesucht und geschult?

Die Experten werden aus dem Verein rekrutiert. Interessierte Vereinsmitglieder können eine eintägige Schulung machen. Anschliessend begleiten diese während einer Saison einen erfahrenen Experten. Im nächsten Jahr sind sie dann selbstständig unterwegs. Für die gewählten Experten findet jedes Jahr eine halbtägige Weiterbildung statt.


Wie wird bestimmt, welche Tiere eine LBE benötigen?

Viele unsere Züchter wollen eine bedrohte Rasse unterstützen, würden von sich aus jedoch nicht aktiv an Schauen gehen oder den Experten auf den Hof kommen lassen. Daher bestimmt jeweils im März die Zuchtleitung die Tiere, die aufgrund ihres Alters oder aktueller Zuchteignung eine LBE brauchen. Jeder Experte besucht dabei die Betriebe in seinem Expertengebiet. Neben der LBE schaut der Experte auch noch die Gitziböcke und berät die Züchter im Stallbau und beim Weide- und Parasitenmanagement.


Wie viele LBE werden bei einem einzelnen Tier durchgeführt?

Aktuell werden zwei bis drei LBE pro Tier gemacht: eine in der ersten Laktation, bei Bockmutteranwärterinnen eine mit drei Jahren, beziehungsweise nach der zweiten Laktation. Es hat sich gezeigt, dass Mängel im Euter sehr oft erst in der zweiten Laktation sichtbar werden. Dann machen wir mit sieben Jahren oder älter nochmals eine LBE, um Ziegen mit einem «nachhaltigen» Exterieur erfassen zu können. Ziel dieser Rasse ist unter anderem eine anhaltende Leistungsfähigkeit.


Gibt es noch Schauen, bei denen der direkte Vergleich gemacht wird?

Der Verein hat immer wieder Anläufe für Schauen und Züchtertreffen genommen. Da sich die Capra Grigia Betriebe sehr gleichmässig über die ganze Schweiz verteilen, ist der Weg für die meisten Mitglieder zu weit und die Teilnehmerzahl entsprechend tief. Aktuell hat die Bockgruppe wieder einen Anlauf genommen und am 4. Mai findet in Flüeli-Ranft ein Bockmarkt und Ziegenschau statt.


Wie verläuft die Entwicklung der Rasse zahlenmässig?

Die Bockzahlen sind mit ungefähr 70 Tieren seit Jahren ziemlich stabil. Die Qualität der Zuchtböcke ist allerdings massiv gestiegen. Bei den Ziegen verzeichneten wir seit Vereinsgründung im Jahr 2011 einen kontinuierlichen Anstieg von knapp 400 auf 1040 Ziegen. Trotz deutlichem Anstieg der weiblichen Tiere ist die effektive Population aufgrund der konstanten Bockzahl kaum gewachsen.

 

Wurde vonseiten des Vereins etwas gegen die konstante Anzahl an Böcken unternommen?

Der Verein hat vor einem Jahr eine Bockgruppe ins Leben gerufen und startet dieses Jahr ein Bundesprojekt. Damit sollen Böcke, die vom Züchter nicht für die Zucht vorgesehen sind und beispielsweise aus genetisch untervertretenen Linien kommen, gezielt gefördert werden. Viele Züchter kastrieren sehr früh, weil sie das Risiko nicht eingehen wollen, den Bock anschliessend nicht verkaufen zu können.

 

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